EIFELJAHRBUCH 2022
Erinnerungen an meinen Vater Curtius Schulten, den „Maler der Eifel“
„Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“
Eifeljahrbuch 2022 Curtius Schulten gilt zusammen mit Fritz von Wille als der bedeutendste Maler der Eifel. Durch seine Werke aus der Eifel und von ausgedehnten Malreisen nach Nord- und Südeuropa sowie seine Portraitarbeiten errang er eine weit über die Region reichende Bedeutung. Er wurde 1893 in Elberfeld geboren, begann seine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Elberfeld (1909-11). Anschließend studierte er an den Kunstakademien Karlsruhe (1911-13) und München (1914). Er war Soldat im Ersten Weltkrieg. 1922-24 befasste er sich intensiver mit graphischen Studien an der Akademie Leipzig. Zunächst wohnte er in Elberfeld, hatte aber bereits seit 1913 Atelier und Sommersitz in Blankenheim/Eifel, wo er ab 1938 ganzjährig wohnte. Zudem unternahm er jährlich ausgedehnte Malreisen nach Ibiza, Teneriffa und Norwegen, Island und Spitzbergen. Die "Europäische Vereinigung Bildender Künstler aus Eifel und Ardennen" in Prüm wurde 1957 von ihm mitbegründet. Curtius Schulten starb 1967 in Blankenheim. Als ich zur Welt kam, war mein Vater 55 Jahre alt. Als er starb, war ich 18 und stand vor dem Abitur. Bewusst kann ich mich also nur an die letzten 15 Jahre seines Lebens erinnern. Da ich meine Schulzeit im Internat (Konvikt) in Münstereifel verbrachte, basieren meine Erinnerungen an ihn auf den Ferien- und Wochenend- besuchen. Als einziges Kind bin ich nun seit mehr als 50 Jahren mit der Nachlassarbeit betraut. Dabei geht es für mich nicht nur um die Sichtung, Wahrung und Präsentation seiner Werke, sondern auch darum, ihn im Nachhinein besser zu verstehen: Wer war er? Wie hat er als freischaffender Künstler sein Leben gestaltet? Welche Entdeckungen hat er auf seinen Malreisen gemacht ? Welche Bedeutung hatte die Eifel für ihn und welche Bedeutung hatte er für die Eifel? Ich hatte eine unbeschwerte und glückliche Kindheit in Blankenheim. Unser Haus und das terrassierte, teilweise bewaldete Grundstück unterhalb der Hülchrather Kapelle mit dem verwunschenen Atelier war für mich das ideale Spielgelände. Mein Vater »spielte und experimentierte« dort mit Pastell- und Kohlestiften, mit Ölfarben. Und mitten im Raum stand die alte Staffelei. Es roch nach Farben und Leinöl. Das Atelier war Mittelpunkt seines Lebens in Blankenheim. Wenn er nicht gerade ein neues Bild anfertigte, verbrachte er viel Zeit damit, früher entstandene Werke zu sichten, zu ordnen und zu überarbeiten. Er gestaltete die Wände seiner Werkstatt ständig neu, indem er die Exponate wechselte. Er wäre nie auf die Idee gekommen, aus seiner Werkstatt einen reinen Verkaufsraum zu machen. Ebenso wenig interessierte ihn eine strategische Vermarktung seiner Werke. Meinem Vater war es vergönnt, wirklich freischaffend und unabhängig zu arbeiten, ganz bewusst ließ er sich nicht zu irgendeinem Lehrauftrag oder zu anderen regelmäßigen Verpflichtungen bewegen. Nach der Erfahrung als Soldat in den Weltkriegen lebte er gerne konsequent nach seinem Wahlspruch: Nie wieder einen Vorgesetzten ! Freiheit galt ihm mehr als Sicherheit. Der Künstlerhaushalt Schulten hatte seine eigenen Gesetzmäßigkeiten: bei sonnigem Wetter wurden Picknick- Koffer und Malutensilien zusammengepackt und wir fuhren in die Eifel. Ich erinnere mich an spannende Fahrten mit ihm, auf denen er mir die Schönheit und den besonderen Charakter der Landschaft zeigen wollte: Ich sollte "sehen lernen". Er bevorzugte für seine Fotos und Werke eine leicht erhöhte Perspektive, von der aus sich das Besondere der Eifellandschaft erleben lässt: Die weiten Hochebenen und die eingeschnittenen Täler, die der Landschaft eine Struktur geben. Besonders augenfällig war damals die von Ackerfurchen und dem Wechsel von Acker und Weideland gegliederte Kulturlandschaft. Das starke Profil der dargestellten Landschaft verleiht auch den Bildern eine besondere Dramatik und Tiefe und lädt den Betrachter zum „Wandern mit den Augen“ ein. Auch die gelegentlich mitgenommenen Freunde lernten von ihm: Hinsehen, Formen und Farben unterscheiden, die Schönheit der Landschaft erfassen. Sie erfuhren sehr deutlich, dass die Eifel längst zu seiner Heimat geworden war. Vom Verkauf seiner Eifelbilder allein konnte er seine Familie nicht ernähren. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, musste er sich als Künstler immer wieder ins Gespräch bringen. Dies tat er auf vielfältige Weise. Als Mitglied des Eifelvereins, des lbero - Clubs, der Deutsch- Isländischen Gesellschaft und des Lions Clubs traf er mit verschiedenen Leuten aus allen Berufssparten zusammen, die ihn als Künstler gerne in ihre Reihen aufnahmen. Er galt als hochinteressanter Gesprächspartner, der ein unkonventionelles Leben führte und auf Reisen Außergewöhnliches erlebt hatte. Wer ist denn schon in den 20iger und 30iger Jahren nach Italien, Spanien, nach Ibiza und Teneriffa gereist (und das mit einem Bananendampfer) sowie in Island, Spitzbergen und Norwegen gewesen ? Wer hatte denn schon durch seine berufliche Tätigkeit Zugang zu allen Bevölkerungsschichten: Zu Ministern, Bischöfen, Professoren, Schauspielern, Fischern und Bauern ?! Wenn er dann seine Fotos zeigen konnte, war er sofort Mittelpunkt des Interesses und dies zog zahlreiche Atelierbesuche und Aufträge nach sich. Eine weitere Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen, waren die Studienreisen, Kreuzfahrten in den hohen Norden Europas oder auch nach Griechenland. Kaum hatte er an Bord angefangen, Reiseeindrücke im Bild festzuhalten und seine Werke in Ausstellungen zu zeigen, scharten sich die Mitreisenden um ihn und ließen sich von ihm unterhalten. Oft kam er mit zahlreichen Portraitaufträgen zurück. Im Atelier war es oft wie in einem Taubenschlag: Es kamen Schulklassen, Vereine, Gesellschaften, Journalisten, einmal das Fernsehen. Für mich eine willkommene Abwechslung in meinem Schülerdasein. Manchmal nahmen sich die »Modelle« Zeit und ließen sich in Blankenheim malen. Sie quartierten sich im Ort ein und kamen zu den Sitzungen ins Atelier. So hatten wir oft Besuch von außergewöhnlichen Persönlichkeiten: Kaufleuten, Industriellen, Künstlern, Professoren, Schauspielern. Mein Vater verbreitete meist eine heitere und gelassene Atmosphäre. Die Veröffentlichung seiner Bildbände »Erlebte Eifel - Gesicht einer Landschaft« (1962) und »Das Bild der Eifel« (1966), seine vielen Ausstellungen in verschiedenen deutschen Großstädten und die zahlreichen Veröffentlichungen über sein Werk und seine Persönlichkeit bestätigten und ermutigten ihn, seinen künstlerischen Weg weiterzugehen: Er hatte seinen unverwechselbaren Zeichen- und Malstil gefunden. So sehr es ihn anfangs traurig stimmte, dass seine zeichnerische Begabung nicht auf seinen Sohn übergegangen war, so ist er am Ende seines Lebens eher froh darüber gewesen. Er ahnte, dass bald eine Ära zu Ende gehen würde, in der ein freischaffender Künstler noch alleine durch seine Kunst existieren konnte. Sein Lebensgefühl wurde maßgeblich durch Intuition, Improvisation, Spontaneität und Kreativität bestimmt. Er war eben auch ein Lebenskünstler.
Abb. 4: Sommer in der Eifel, Aquarell, 1934 „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen" Goethes Faust. Erster Teil Nach meinem Studium und Lehrerausbildung kam ich wieder ins Rheinland zurück und bekam eine Lehrerstelle am St. Michael-Gymnasium in Münstereifel, wo ich zuvor mein Abitur erworben hatte. Als Einzelkind lag es nun an mir, die Nachlassverwaltung mit meiner Mutter Hete Schulten zu teilen. Nachlass - das hieß damals - wie auch noch heute: Hunderte von Ölbildern, Aquarellen, Graphiken, Zeichnungen, Skizzen, Dias, Fotos, Alben, auch noch viele Farben, Paletten und so weiter..... Was galt es zu tun? Eine meiner ersten Aufgaben war es, die Werke zu sichten, zu sortieren, nach Techniken, nach Entstehungszeiten und – orten. Es galt, neue Schränke anzuschaffen, um die Aufbewahrung langfristig zu verbessern und das Erbe zu erhalten. Die vielen hinterlassenen Ölbilder mussten auf neue Keilrahmen aufgezogen werden; Fotos und Dias, die er für seine Vorträge zusammengestellt hatte, mussten thematisch bzw. chronologisch geordnet werden. Letztlich wollte ich es schaffen, alle Werke zu dokumentieren und zu katalogisieren. Alle vorhandenen Werke mussten fotografiert, vermessen und später digital gesichert werden. Großartige Vorarbeit hat dabei Dr. Conrad-Peter Joist geleistet, der für seine Monographie „Curtius Schulten - Maler der Eifel“ eine Vielzahl der vorhandenen Werke erfasst hatte. Eine Gesamtschau aller Werke zu erstellen, gestaltet sich bis heute als sehr schwierig, da es von manchen nur noch Abbildungen gibt und die Besitzer heute kaum noch auffindbar sind. Manche Erben wenden sich allerdings noch heute an uns, um Näheres über Motiv und Entstehungszeit der geerbten Bilder zu erfahren. Die Recherche dauert also an. Wenn man die fast 700 Portraits anschaut, die wir inzwischen verzeichnet haben, bemerkt man, dass die Darstellungen von Typen, etwa Eifelbauern, -bäuerinnen mit ihren durchfurchten Gesichtern und Händen, ihrer interessanten Physiognomie, oder auch die Portraits von Künstlern wie Ringelnatz, Pitt Kreuzberg, Tilla Durieux und Lilian Harvey, so viel aussagekräftiger sind als manche gängige Auftragsarbeit, die ihm weniger Möglichkeit bot, sich als Künstler frei zu entfalten. Manches ließ sich im Verlauf meiner fast 55 jährigen Nachlass-Erkundung indirekt und aus den Erzählungen meiner Mutter, aus Gesprächen mit engen Freunden, aus Zeitdokumenten, aus Briefen, Tagebucheintragungen erschließen. So findet sich z.B. in seinem Tagebuch des Jahres 1966 der markante Satz: "Das interessanteste Stück Erdoberfläche ist der Mensch" und 1967 notiert er: "Ein Bildnis entsteht aus dem Empfinden, aus denen gute Portraits von jeher entstanden, und es lohnt einen jeden (Menschen) zu malen, denn ein jeder hat etwas was kein anderer besitzt". Als Maler war er schon 1932 auf Teneriffa gewesen und hatte die Gelegenheit erhalten, dort eine Ausstellung zu organisieren. Er hatte sich auf Teneriffa inzwischen einen Namen gemacht; die spanische Presse macht Interviews mit dem „pintor aleman“. Insgesamt verbrachte er –zusammengerechnet- drei Jahre seines Lebens in Spanien (5-mal auf Teneriffa und viermal auf Ibiza), wo er immer wieder die Mandelblüte erleben wollte. In den Jahren 1958 und 1961 durchquerte mein Vater im Anschluss an den Teneriffa-Aufenthalt die Iberische Halbinsel und sah die Städte Granada, Cordoba, Toledo und Madrid wieder, die er bei seinem ersten Aufenthalt kennengelernt hatte. Was trieb ihn immer wieder nach Spanien? Er genoss dort den Zauber des Südens: Die Wärme, das südliche Licht, die Farben, den Duft der vielen Blüten, die farbenfrohen Häuser, die Vegetation, Gärten, Parks. Er war begeistert von der sympathischen Gelassenheit der Spanier, ihrer Fähigkeit, im Augenblick zu leben und ihr Leben einfach zu genießen. Ihre Mentalität und Liebenswürdigkeit kamen seinem heiteren Wesen entgegen. Und er durfte Land und Leute in einer Zeit der Ursprünglichkeit erleben, die noch nicht vom Tourismus geprägt war. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Reisetätigkeit war der Norden Europas. Er suchte wohl eine Abwechslung von dem südlichen intensiven Licht, dem Farbenreichtum der Vegetation. Bei Kreuzfahrten lernte er Schottland, Norwegen, Spitzbergen und Island kennen. Hier genoss er die Stille, das ruhige gleißende Licht und die Variation der Grün-, Silber- und Grautöne des Nordens, die er meist im Pastell festhalten wollte. Bei der Sichtung der auf seinen Eifeltouren und Studienreisen entstandenen Werke will man als Sohn dorthin zurückkehren, wo die väterlichen Werke entstanden sind. Das können markante Eifeltäler, Eifeldörfer wie Eisenschmitt, das Kloster Himmerod, der Nohner Wasserfall oder die Maare sein, aber auch Plätze in Paris, z. B. Place de la Concorde, oder das Amphitheater von Arles in Südfrankreich; es können spanische Stierkampfszenen sein, die Alhambra von Granada, die Höhlenwohnungen von Guadix, das können der mächtige Pic de Teide auf Teneriffa, die Wasserfälle und Geysire auf Island oder der Hafen der norwegischen Stadt Bergen sein. Überall kann man den Genius Loci aufnehmen und sich fragen: Warum hat er damals diese Perspektive gewählt ? Was hat ihn daran besonders gereizt ? Wie haben sich Ort und Gegend mittlerweile verändert ? Seine Bilder sind oft auch Zeitzeugen einer vergangenen Epoche. Durch die Recherche und das Aufsuchen früherer Malstandorte gestaltet sich die Nachlass-Verwaltung wie eine detektivische Spurensuche. So lassen sich hinter dem fertigen Bild die Motivation des Künstlers und seine Emotionen in jenem Moment des „Festhaltens“, von dem er immer sprach, erfahren. Was für eine Bereicherung für das eigene Leben ! Als Nachlassverwalter muss man das künstlerische Erbe pflegen, erhalten und sichtbar machen. Unmittelbar nach seinem Tod organisierte meine Mutter Ausstellungen u.a. in Blankenheim, in Gemünd, im Eifeldorf Rupperath, in Jülich, im Bonner Iberoclub und am Niederrhein. Ab 1980 haben meine Frau und ich im Umkreis der Eifel (Blankenheim, Euskirchen, Gemünd, Düren, Bonn) 17 Curtius - Ausstellungen initiiert und durchgeführt und waren zudem bei 8 Ausstellungen beteiligt. Mit diesen Ausstellungen und mit Vorträgen über sein Leben und sein Werk soll verhindert werden, dass der Name in Vergessenheit gerät. Curtius Schulten soll in seinen Werken weiterleben ! Wenn wir uns die Besucherzahlen bei den Ausstellungen und Vorträgen betrachten, so können wir sagen, dass wir immer wieder überrascht sind, wie groß die Resonanz ist: Im Herbst 2014 in der Ausstellung in Düren – Schloss Burgau sind über 600 Besucher registriert worden und dies fast 50 Jahre nach seinem Tod. Was hat sie begeistert? Das Können meines Vaters, alle künstlerischen Techniken wie Zeichnung, Radierung, Pastell, Aquarell und Ölmalerei gleichermaßen zu beherrschen wie kaum ein anderer Maler der Eifel. In seinen Portraits kann der Betrachter Charaktere mit unterschiedlichsten Facetten erfassen. Er hat die Möglichkeit, die Menschen und die Landschaften der Eifel im Gang der Jahreszeiten zu sehen und die Bedeutung und den Wert der - damals noch intakten - Natur- und Kulturlandschaft zu begreifen und die leichte Poesie zu spüren, die über manchen Impressionen liegt. Der Betrachter kann mit den Augen und dem Herzen in ursprüngliche Lebenswelten im Norden und Süden Europas reisen, die heute so nicht mehr erfahrbar sind. Wir sind auch weiterhin bestrebt, die Werke einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und können Ausstellungen zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten organisieren und durchführen. Wir laden Sie ein, auf unserer Homepage: www.curtius-schulten.de Eindrücke zu gewinnen und den Film der bekannten Dürener Filmemacherin Roswitha Katharina Wirtz anzuschauen, der im Zusammenhang mit der Retrospektive "Curtius Schulten - ein Künstlerleben " entstanden ist, welche die Bürgerstiftung Düren 2014 auf Schloss Burgau organisiert hat. Dieser Text wurde im Eifeljahrbuch 2022 veröffentlicht. Marius Schulten, Bad Münstereifel, Sohn des Künstlers
SONDERAUSSTELLUNG
„Zwischenspiel“
Das graphische Werk
12. Nov. – 02. Dez. 2017
Fr – So 13-18 Uhr
KunstForumEifel
Gemünd
AUSSTELLUNG
CURTIUS SCHULTEN –
Maler der Eifel
Ausgewählte Ölgemälde,
Aquarelle und Pastelle
15. Okt. – 12. Nov. 2017
Sa + So 12-17 Uhr
Haus am Hirtenturm
Blankenheim
AUSSTELLUNG
Curtius Schulten
Ein Künstlerleben
2014
Schloss Burgau
Düren-Niederau